31. Juli 1957

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Thomas hatte sich bei der Hausführung den Zugang zum Telegraphenraum genau eingeprägt; und auch den kürzesten Weg dorthin. Die Telegraphin würde von zwölf bis vierzehn Uhr auf Mittagspause sein. Das wäre auch die Zeit, in der er ein Telegramm abschicken könnte. Johann würde James und den Konsul ablenken, während er unter dem Vorwand, seine Tasche stehen gelassen zu haben, zurückginge. Das Telegramm würde an eine dafür geeignete Adresse geschickt werden, die auf den ersten Blick nicht mit dem Militär zusammenhing: Gemäß dem üblichen Vorgehen würde Thomas Urlaubsgrüße schicken, die zugleich seinen Aufenthaltsort, seinen Begleiter und die Bitte enthielt, vorerst nicht einzugreifen. Jeder, der diese Nachricht abfing, würde selbst auf den zweiten Blick nicht erkennen, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handelte. Mit Johann war Thomas übereingekommen, dass von Aleksandra und Leonid nichts gesagt werden sollte.

Thomas hatte gerade das Telegramm versandt und wartete nur noch auf die Ankunftsbestätigung. Das vertraute Klicken versicherte ihm, dass der gewünschte Empfänger es erhalten hatte. Was die jetzt mit der Information anfingen, läge bei ihnen. 

Gerade wollte er den Raum verlassen, als vorsichtig die Tür geöffnet wurde. Thomas trat eilig hinter die Tür, um nicht gesehen zu werden. War die Telegraphin schon nach zehn Minuten zurück aus ihrer Pause?

Sah er recht, im trüben Licht der einzelnen Lampe? Schneller als er realisieren konnte, dass Aleksandra den Raum betreten hatte, hatte sie ihn gepackt und auf den Boden geworfen. Sie hielt inne: „Thomas?“ Er nickte. Aleksandra ließ ihn los und half ihm auf. „Was machst du hier? Eine Nachricht von dir könnte uns alle verraten!“

Thomas konterte: „Das wird eine Nachricht von dir auch können. Wie bist du überhaupt hier hereingekommen?“

Aleksandra überlegte, ob es klug war, die Hintergründe zu eröffnen, aber Thomas schien ihr professionell genug: „Leonid kümmert sich gerade um die Telegraphin. Er hat durch gewisse Ablenkungen dafür gesorgt, dass ich in das Amtsgebäude kam, bevor sie abgeschlossen hat. Jetzt muss ich so schnell als möglich telegraphieren.“

Thomas seufzte beim Gedanken daran, was „sich kümmern“ in diesem Zusammenhang bedeutete und sagte dann zu Aleksandra: „Ich werde bei der Tür aufpassen, damit wir nicht überrascht werden.“

Alexandra setzte sich an den Telegraphentisch und begann, die einstudierten Zeichen einzuklopfen. Das Telegramm ging an ihre Freundin Olga. Es enthielt Urlaubsgrüße aus Sansibar und den verschlüsselten Hinweis, dass eine Antwort mit einer Kurzbeschreibung der politischen Lage in Moskau als Telegramm an das Hotel Morgenröte in Sansibar zu schicken sei. 

Aleksandra hatte den Hoteldirektor gebeten, vor dem Abendessen mit den Genossen noch mit ihren drei Begleitern auf dem Balkon eine kurze Vorbesprechung durchführen zu können. Der Hoteldirektor hatte daraufhin ein kleines Süßspeisenbuffet und einen Krug voll kalten Kokos-Limettencocktails servieren lassen. 

Sobald die Angestellten unter einer Verneigung gegangen waren, ging Aleksandra nervös auf und ab. Als Thomas und Johann von ihrem Besuch in der Botschaft zurückkamen, ließ sie sie gar nicht zu Wort kommen: „Euer Verhalten war absolut unprofessionell. Ich trage die Verantwortung für diese Gruppe und habe viel riskiert, um euch sicher hierherzubringen. Jede Kontaktaufnahme mit fremden Mächten könnte unser dünnes Alibi sofort zerbrechen lassen.“

Thomas und Johann, die auf der ihr gegenüberliegenden Bank Platz nahmen, wirkten betroffen. In diesem Ton hatte Aleksandra noch nie mit ihnen gesprochen. Sie wirkte wütend und zugleich ehrlich besorgt.

Leonid versuchte die Situation zu entschärfen, indem er allen ein Glas mit dem Cocktail füllte. Thomas ergriff das Wort: „Mit Verlaub, ich weiß, was du unseretwegen riskiert hast und riskierst. Aber ich bin meinem Staat zur selben Loyalität verpflichtet wie du deinem. Wir haben von eurer Anwesenheit oder den Umständen unserer Ankunft hier nichts erwähnt. Wir werden auch die Waffenlieferungen geheim halten. Aber es war notwendig, meine vorgesetzten Dienststellen über meinen und Johanns Aufenthaltsort zu informieren. Ich verbürge mich dafür, dass Österreich nichts unternehmen wird, um uns hier abzuholen. Wenn ihr aber wollt, gibt es sicher eine Möglichkeit, dass wir gemeinsam dorthin fahren und uns in wirkliche Sicherheit bringen. Über Johanns Studienkollegen, den Neffen des britischen Konsuls, kommen wir sicher an die nötigen Papiere, denn auf eure Station im Norden können wir nicht zurückgreifen, ohne Verdacht zu schüren.“ 

Johann war zu verwirrt, um sich am Gespräch zu beteiligen; er wartete vielmehr gespannt, wie Aleksandra reagieren würde. Überraschenderweise kam ihr Leonid zuvor: „Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass wir nach Österreich fahren! Das würde nicht nur euch, sondern auch uns in höchste Gefahr bringen. In Wien sind genug Agenten stationiert, um alle Insassen des Flugzeugs auszuschalten, mit dem wir ankommen. Wer auch immer in Moskau regiert, wird es nicht dulden, dass wir mit euch dorthin gehen: Entweder, weil sie den Kontakt mit dem Westen grundsätzlich ablehnen, oder weil sie meinen, ihr hättet uns zur Desertion überredet. Außerdem würde ich die Sowjetunion nie verlassen.“ 

Thomas schnaufte: „Na wenigstens deinem Land hältst du eine ungewohnte Treue!“

Leonid blickt zu Aleksandra, die zu Thomas: „Wir haben jetzt wirklich nicht die Zeit, komplexe private Probleme auch noch zu besprechen. In einer halben Stunde kommen die Vertreter unserer Bewegung wieder hier im Hotel zusammen. Die Herren – ja, es sind nur Männer – hatten sehr diffuse Vorstellungen. Auf jeden Fall erwarteten sie von einer so hochrangigen Delegation wie der unseren konkrete Zusagen. Ich habe einen Aktionsplan ausgearbeitet, der ihren Wünschen eine Struktur und einen Zeitplan gibt. Unabhängig von den politischen Umständen zuhause sind alle Angaben realistisch. Das wird uns für den Rest der Woche etwas Ruhe verschaffen. Johann, ich weiß, dass das für dich eine Zumutung ist, aber ich bitte dich, deine Rolle auch heute Abend zu spielen. Ich habe hier die Unterstützungsmaßnahmen aufgeführt, die du als ein Vertreter der Thüringischen Volksrepublik zusagen kannst. Verwickle dich nicht in militärische Spitzfindigkeiten. Und behalte vor Augen, dass wir in drei Tagen so oder so diese Insel hinter uns lassen. Nichts von dem, was wir heute zusagen – und wozu auch die Vertreibung der Engländer und anderen Europäer, also auch deiner Nonnen gehört, wird tatsächlich eintreffen.“

Johann nahm das Papier aus Aleksandras Händen, warf einen Blick darauf und sah sie zornig an: „Du spielst mit diesen Leuten wie mit Schachfiguren. Du setzt das Leben dieser Nonnen und vieler anderer als Joker ein, und du betrügst deine eigenen Leute. Hast du kein Gewissen?“ 

Aleksandra war verblüfft: „Weshalb tue ich denn das? Ich habe General Schelepin versprochen, mich um dich zu kümmern und mit meinem Leben dafür zu sorgen, dass dir nichts passiert. Ich hätte ruhig in Moskau bleiben und den Putsch von der Ferne betrachten können. Ohne mit der Wimper zu zucken. Meine Flucht mit dir mag im Sinn meines Vorgesetzten sein, aber ist er das noch? Lebt er noch? Leben meine Freunde noch? Du hast einmal davon gesprochen, wie bestürzend und aufregend zugleich deine Entsendung zu uns war. Jetzt habe ich auch meine Heimat verlassen, aber im Gegensatz zu dir kann ich nicht einfach zurück.“

Bevor Johann etwas sagen konnte, klopfte es. Alle zuckten erschrocken zusammen. Leonid stand auf, richtete sich das Hemd und ging zur Tür: „Möglicherweise erübrigt sich die Diskussion schon. Wenn einer der Funksprüche dechiffriert wurde, wird uns jetzt entweder die Polizei des Sultans abholen, oder unsere Genossen werden uns gleich hier exekutieren.“ Es klopfte erneut, jetzt heftiger: „Ich schlage vor, ihr wartet möglichst weit weg vom Eingang und bringt euch in Sicherheit, falls es so ist.“ 

Die drei anderen standen auf, als Leonid in das Zimmer ging. Thomas flüsterte halblaut: „Pass auf dich auf!“

Es folgte Stille. Schließlich hörte man Leonid und jemand zweiten, sie unterhielten sich auf Russisch, aber Aleksandra konnte keine Worte erkennen. Da aber weder Schreie noch Schüsse zu hören waren, warteten sie im hinteren Teil des Balkons. Schließlich kam Leonid herein, mit ihm kam Oberleutnant Lamprin, den Aleksandra zuerst gar nicht erkannte, weil er zivile Kleidung trug. „Genosse Oberleutnant hat ein Telegramm für sie, Genossin Generalmajor!“ 

Mit einem für ihre Augen unverschämten Grinsen gab der junge Offizier Aleksandra das Telegramm. „Ich war sowieso gerade auf dem Weg zu ihnen, Genossin, da hat mit der Herr Direktor das Telegramm gleich mitgegeben.“ 

Bedeutete sein Lächeln, dass er die Scharade durchschaut hatte? Warteten vor der Türe schon seine Schergen, um alle vier zu töten? Aleksandra versuchte, diese Gedanken zu vertreiben. Mit kühler Selbstsicherheit nahm sie das Telegramm. Sie öffnete das Kuvert und überflog den Zettel. Für einen Augenblick verließ sie ihre Kraft, und sie sackte zusammen. Johann fing sie geistesgegenwärtig auf. Keinen Augenblick später hatte sie sich wieder völlig unter Kontrolle, strich mit ihrer üblichen Geste ihren Rock glatt – eine lächerliche Handlung bei dem leichten, im Wind flatternden Stoff – und richtete das Wort an den Oberleutnant: „Ich vermute, Sie kennen den Inhalt des Telegramms, Genosse Oberleutnant.“

Lamprin nickte: „Wie gut, dass Sie einen barmherzigen Samariter bei sich haben!“

Leonid übersetzte die für ihn unverständliche Formulierung, woraufhin Johann zusammenzuckte. Es konnte nichts Gutes verheißen, wenn ein sowjetischer Offizier in dieser Situation ein biblisches Bild gebrauchte. Was würde jetzt geschehen? Würde man ihn verhaften? Auch Aleksandra, Leonid und Thomas?

Lamprin setzte fort: „Genossin Generalmajor, wir befinden uns in einer schwierigen Lage. Ich empfehle, dass wir uns setzen, etwas von diesen herrlichen Süßigkeiten essen und uns unterhalten.“

Aleksandra deutete den anderen, sich zu setzen. Es hätte keinen Sinn gehabt, Lamprin zu überwältigen, denn vor der Türe wartete sicher seine Begleitung. Möglicherweise saß auch in einem der umliegenden Häuser ein Scharfschütze, der sie schon im Visier hatte. Das Einzige, was Aleksandra ängstigte, war nicht die Gefahr des plötzlichen Todes, sondern die Vorahnung, dass der junge Offizier am Ende der Welt seinen größten Triumph so lange als möglich auskosten wollte: Er dürfte einen flüchtigen General des Geheimdienstes und einen ausländischen Priester beliebig foltern und sie dann leise irgendwo verschwinden lassen. Nie wieder in seiner ganzen militärischen Karriere würde ihm so etwas passieren.

Leonid schien als erster die eisige Erstarrung zu brechen, die in völligem Gegensatz zum gleißenden Licht der Sonne und dem einladenden Rauschen des Meeres stand. Er griff nach einem Blätterteiggebäck und aß es, demonstrativ entspannt auf den Oberleutnant blickend.

Lamprin eröffnete das Gespräch: „Ich bin auf Ihrer Seite.“

Leonid übersetzt ungerührt für Thomas und Johann. „Ich fand Ihre unangekündigte Ankunft mehr als merkwürdig, aber aufgrund der Funksperre konnte ich natürlich nicht nachfragen. Es würde zu weit führen, wenn ich den mehr privaten Grund dafür erläuterte, aber aufgrund meiner guten Kontakte zum türkischen Konsulat habe ich über diesen Kanal versucht, an Informationen zu kommen.“

Aleksandra war fest überzeugt, dass dies der naive Versuch war, ihr eine Falle zu stellen. Er würde ihr einige Informationen hinwerfen und einen Ausweg, eine Fluchtmöglichkeit aufzeigen. Dann käme die Frage darauf, an wen in Moskau man sich um weitere Unterstützung wenden könne oder wem man dort trauen dürfe. Sagte Aleksandra dann auch nur einen einzigen Namen, wäre das dessen sicheres Todesurteil. Mehr und mehr reifte in ihr die Gewissheit, dass der Putsch erfolgreich gewesen sein musste. Es würde jetzt nur noch darum gehen, ein paar alte Rechnungen zu begleichen. Wenn sich dafür Verwicklungen in verräterische Aktivitäten als Beweise aufzeigen ließen, würde das bei einem öffentlichen Prozess der Anklage etwas mehr Schein der Legitimität geben. Aleksandra begann zu lächeln: Wenn das die Henkersmahlzeit war, dann wollte sie es genießen. Sie schenkte sich und Johann noch ein Glas des Cocktails ein. Johann nahm es verdutzt, trank aber nicht. 

Er verstand überhaupt nichts mehr. Der junge Lamprin stellte sich als ihr Verbündeter heraus, etwas Besseres konnte ja gar nicht passieren. Johann entspannte sich. Vielleicht war er ja sogar Christ, natürlich nur heimlich und selbstverständlich orthodox, aber ein Christ. Deshalb das Bibelzitat, das dann nicht zynisch, sondern als Erkennungssignal eingesetzt war. Mit einem Ansturm von Begeisterung sagte er plötzlich: „Ich danke Gott, dass er Sie uns geschickt hat!“ 

Leonid starrte ihn mit entgeisterten Augen an: „Ich werde das nicht übersetzen! Du solltest dich nicht in das Gespräch einmischen.“

Johann blickte auf Lamprin, auf Aleksandra und auf das Glas mit dem milchigen, kalten Getränk in seinen Händen. Was war denn jetzt los?

Aleksandra trank genüsslich aus dem Glas, stellte es dann vor sich ab und suchte geziert nach einer besonders großen, mit Marzipan gefüllten Dattel: „Genosse Oberleutnant, finden Sie nicht auch, dass diese Insel ein herrlicher Ort zum Leben ist? Und wie viel schöner wird er erst sein, wenn allen Menschen diese Köstlichkeiten zur Verfügung stehen und jeder in einem solchen Zimmer schlafen kann? Ich bin gespannt, welche Informationen Ihnen das türkische Konsulat geben konnte.“

Lamprin blickte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Doch sie ließ sich nicht verunsichern. 

Ha, denkst du, Bürschchen, dass ich meinen Dienstgrad geschenkt bekommen habe? Du wolltest mich vor der Erschießung demütigen und das so richtig auskosten, aber diese Freude gönne ich dir nicht.

Der unmittelbar bevorstehende Tod und die dadurch geschenkte letzte Freiheit ließen sie ihr Leben rekapitulieren: Ihre Kindheit auf der Flucht, im Krieg, die Ermordung ihrer Eltern durch Stalin und die liebevolle, wie sie erst viel später erfahren sollte aus schlechtem Gewissen erwachsene Förderung durch Schelepin. Ihr Studium, ihre Ausbildung zur Agentin, ihre bisherigen Einsätze. Sie lachte wie aus heiterem Himmel auf.

Die vier Männer am Tisch schauten sie fragend an. Was für eine Ironie, dachte sie mit einem Blick auf den attraktiven Dolmetscher. Hätte ich wenigstens Leonids Angebot angenommen. Unter diesen Umständen wäre es nun sowieso egal gewesen. 

Lamprins Worte holten sie zurück in die Realität: „Genossin, Sie vermuten, dass ich ein Spiel mit Ihnen spiele und Sie töten möchte, aber das ist nicht der Fall. Ich habe das Telegramm gelesen, genauso wie der Hoteldirektor, der den Inhalt wohl noch weniger versteht als ich. Mein Kontakt im Konsulat konnte keine Dienststelle der Armee befragen, aber er hat eine Verbindung zur türkischen Botschaft nach Moskau. Ich weiß von dem Putsch; und gleich vorweg, der Ausgang ist noch offen. Parteisekretär Chrustschow hat sich nach Leningrad zurückgezogen und dort zwei Divisionen zu seinem Schutz in Stellung gebracht. Die andere Gruppe um Ministerpräsident Bulganin ist in Moskau geblieben. Unter ihnen sind nicht nur sieben Mitglieder des Politbüros, sondern auch viele Größen der Partei, die den neuen Kurs des Generalsekretärs nicht mittragen wollen.“

Was will er mit dieser Darstellung erreichen, fragte Aleksandra sich. Doch schon diese Frage war ein Zeichen, dass sie sich auf seine Falle zubewegte. Nein, mahnte sie sich selbst zur Vorsicht, kein Wort und keinen Hinweis!

Lamprin ließ sich nicht beirren: „Da Außenminister und KGB-Chef auch in Moskau geblieben sind, wird Ihr Auftraggeber wohl der stellvertretende Direktor des Geheimdienstes gewesen sein. Er ist seit Sonntag verschwunden.“

Es kostete Aleksandra Mühe, möglichst ruhig eine weitere Dattel zu nehmen. Woher wusste Lamprin von Schelepin? Es konnte nur ein Versuch sein, sie zu einer Äußerung zu verlocken. Konnte denn die türkische Botschaft in Moskau über all diese Informationen verfügen? Selbst wenn man sie auf diplomatischem Weg über die politischen Vorgänge informiert hätte, würde kein Wort über Aufenthalt oder Verschwinden führender Geheimdienstleute gesagt werden. Aber was, wenn Schelepin zu seinem Freund, dem türkischen Botschafter, geflohen wäre? Niemand würde es wagen, unter den gegenwärtigen Umständen die Botschaft zu stürmen. Er könnte über all diese Informationen verfügen und sie dosiert abgeben, um sie hier zu informieren. War es ein Trick Lamprins? Und wenn er schon von Schelepins Verwicklung wusste, warum dann noch dieses Katz-und-Maus-Spiel?

Der Oberleutnant ließ nicht locker: „Genossin, Sie müssen mir vertrauen! Wenn ich gegen Sie eingestellt wäre, dann würden wir nicht mehr hier sitzen! Das wissen sie. Was bedeutet der Inhalt des Telegramms? Findet sich darin ein Hinweis, was Sie weiter tun sollen? Und wie kann ich Ihnen helfen?“

Erst Leonids Übersetzung richtete Thomas Aufmerksamkeit wieder auf das Telegramm. Konnte es schon die Antwort auf das zu Mittag verschickte Telegramm nach Moskau sein?

Aleksandra war verunsichert, aber der Inhalt des Telegramms war politisch unverfänglich, auch wenn sie persönlich über den Inhalt schockiert war. Dennoch bestand keine Gefahr, dem Verhörer den Inhalt des Telegramms zu erläutern: „Das Telegramm stammt von einer Freundin aus Moskau, der ich meinen Aufenthaltsort mitgeteilt habe. Sie brauchen gar nicht erst zu versuchen, ihren Namen aus mir herauszubekommen. Der Inhalt des Telegramms steht nur entfernt im Zusammenhang mit dem Putsch. Mein Bruder ist stellvertretender Kapitän eines U-Bootes. Sein Kapitän wollte dieses Boot gegen Gewährung von Asyl einer fremden Macht überlassen. Diesen Verrat wollte mein Bruder verhindern. Deshalb wurden er und die anderen treuen Genossen an die Regierung jenes Landes ausgeliefert. Er befindet sich in Haft. Für mich ist klar, dass es sich bei der fremden Macht nur um das Osmanische Reich handeln kann. Die wollen schon lange ein eigenes U-Boot-Programm aufbauen. Nichts käme ihnen gelegener, als eines der unseren zu erhalten.“

Mit einem hellen Klirren zersprang Leonids Glas in tausend Scherben, als es auf dem Boden auftraf. Lamprin, der Aleksandra während ihrer kühlen Ausführung scharf beobachtet hatte, fuhr herum und griff instinktiv nach seiner Waffe, die er unter dem Jackett trug. „Wir müssen Wladimir retten!“

Thomas und Johann verstanden nichts und blickten einander fragend an. Auch Aleksandra war völlig aus dem Konzept gebracht: Was ging denn den Dolmetscher der Zustand ihres Bruders an? Woher kannte er überhaupt seinen Namen?

Leonid war aufgesprungen und raufte sich die Haare. Aleksandra versuchte, diese Reaktion zu durchschauen. War Leonid auf Seiten Lamprins? Versuchte er, sie jetzt zu verwirren und unvorsichtig zu machen? Aber auch Lamprin wirkte überrascht; zu überrascht, um das nur zu spielen.

„Mein Bruder ist ein treuer Offizier und Kommunist, er wusste, was für ihn auf dem Spiel steht; und er hat richtig gehandelt. Er wird befreit werden! Und auch das U-Boot wird uns zurückgegeben werden!“ 

Aleksandra hatte zu ihrer Fassung zurückgefunden. Auch Lamprin steckte die Pistole zurück in den Halfter. Doch Leonid konnte sich nicht beruhigen: „Du hast ja keine Ahnung: Die kolumbianischen Faschisten werden Wladimir foltern. Er ist nicht nur der stellvertretende Kommandant dieses U-Boots, er kennt auch alle technischen Daten, weil er an der Entwicklung mitgewirkt hat – im Gegensatz zum Kapitän. Ohne seine Mithilfe ist das U-Boot sinnlos für die Kolumbianer. Und der dortige Bürgerkrieg sieht nicht so aus, als ob die Genossen ihn gewinnen würden.“

Aleksandra war nun vollends verwirrt: „Was heißt Kolumbianer? Mein Bruder gehört zur Schwarzmeerflotte, sein Heimathafen ist Odessa. Mit der feindlichen Macht kann nur das Osmanische Reich gemeint sein.“ 

Leonid schüttelte verzweifelt den Kopf: „Das ist die offizielle Version. In Wahrheit befindet er sich seit drei Monaten in der Karibik, mit dem Auftrag, die Revolution in Kolumbien zu unterstützen. Seit Monaten haben die Faschisten dort gedroht, den Panamakanal zu sperren, sollten die westlichen Staaten ihnen nicht militärisch helfen. Denen könnte nichts Besseres passieren, als ein modernes sowjetisches U-Boot samt einem der Entwickler in die Finger zu bekommen; und sei es nur als Tauschobjekt für britische oder französische Waffen!“

Nun konnte auch Aleksandra sich nicht mehr halten, sie sprang auf und versetzte Leonid eine schallende Ohrfeige: „Nehmen Sie doch Vernunft an, Genosse! Sie sind ja völlig übergeschnappt! Woher wollen Sie denn alle diese Dinge über meinen Bruder wissen?“

Lamprin sprang ebenfalls auf. Er verstand die Welt nicht mehr. Anstatt zu einer konstruktiven Lösung zu kommen, schienen diese Flüchtlinge vollends jeden Sinn für Realität verloren zu haben. Leonid stand kalter Schweiß auf der Stirn: „Wladimir ist der Mann, der mich liebt!“

Lamprin runzelte verwirrt die Stirn, Aleksandra hielt den Atem an. Thomas und Johann standen auch auf, ohne allerdings das Geringste von der russischen Konversation verstanden zu haben.

Der Schrei eines Falken durchbrach die Stille. Als wäre sie aus einer Erstarrung befreit, versetzte Aleksandra Leonid noch eine Ohrfeige: „Und du wolltest vorgestern mit mir schlafen? Was bist du für ein Mensch?“

Leonid zuckte bei dem Schlag nicht zurück: „Das ist doch jetzt alles völlig egal. Wir müssen ihn befreien. Du kannst doch auch nichts anderes wollen!“ 

Lamprin ergriff das Wort: „Kolumbien ist dreizehntausend Kilometer von hier entfernt! Und sicher immer noch zehntausend von Moskau.“

Thomas reichte es: „Was redet ihr da die ganze Zeit? Wir sind auch noch hier! Leonid, was redet ihr da?“

Leonid fasste sich etwas und übersetzte kurz, wo Aleksandras Bruder sich aufhielt.

Aleksandra fragte Lamprin: „Was soll das heißen?“

Dieser antwortete: „Ich bin zwar hier Kommandant unseres vorgerückten Postens, aber einer direkten Order aus Moskau, Sie und Ihre Begleiter gefangen zu nehmen oder zu exekutieren, kann ich mich nicht widersetzen. Wenn Sie allerdings die Insel bereits verlassen hätten, wenn diese Order kommt, kann ich nichts mehr tun. Und wenn Sie in ein Land mit Bürgerkrieg reisen, weit weg von hier und von der Sowjetunion, dann wären Sie in relativer Sicherheit bis zum Ausgang dieser unglücklichen Situation.“ 

Aleksandra überlegte. Konnte es sein, dass er wirklich auf ihrer Seite war? Oder würde das Flugzeug sie nach Moskau bringen? Oder zumindest zu einem Militärflughafen auf der Krim, dem nächstgelegenen Ort der Sowjetunion? „Sie spielen ein riskantes Spiel. Warum sollte ich Ihnen vertrauen?“

Lamprin schnaufte: „Denken Sie denn, ich hätte mir diesen Posten hier freiwillig ausgesucht? Am Ende der Welt mit einem Haufen chaotischer Wilder, die nicht einmal wissen, wie sie die Waffen bedienen sollen, die wir ihnen schenken? Ich bin gerne Soldat, aber ich hasse es, hier als Kindergärtner eingesetzt zu werden. Wenn Ihre Mission zu einem guten Ende käme, wenn eine Versöhnung zwischen Ost und West begänne, würden sich solche Missionen erübrigen. Und wenn der Priester da etwas dazu beitragen kann, dann soll es mir recht sein, wenn er und Sie überleben.“

Blitzschnell ordnete Aleksandra ihre Gedanken: „Wir brauchen Tickets und neue Pässe. Weder die Leute aus ihrer Station noch der Direktor des Hotels dürfen etwas davon erfahren; wir können also weder bei Ihnen Neue drucken noch die aus dem Hotelsafe verwenden. Ich werde die Flugtickets für uns vier besorgen.“

Ja, so müsste es gehen. Dann könnte ihnen Lamprin keine Falle stellen und wäre zugleich unbelastet, falls er es wirklich ehrlich meinte.

Nun schaltete sich Thomas ein: „Ihr russischer Akzent ist unüberhörbar, auch wenn Sie gutes Englisch sprechen. Ich denke nicht, dass wir so unbemerkt in Kolumbien einreisen könnten. Die dortige Militärregierung würde lange vor unserer Ankunft informiert sein und uns sofort am Luftschiffhafen abfangen. Ich werde die Tickets besorgen. Aber dafür brauchen wir Pässe.“ 

An Johann war dieses Gespräch wie ein Traum im Halbschlaf vorbeigezogen, aber jetzt hatte er etwas gehört, was auch ihm eine Idee eingab: „James! Wir werden uns britische Pässe aus dem Konsulat besorgen!“

Erstaunt blickten alle auf Johann. Aleksandra schüttelte den Kopf: „Mag sein, dass dein Freund dort wohnt, aber ich denke nicht, dass er seinen Onkel bewegen kann, vier Fremden innerhalb eines Tages einen Pass auszustellen. Noch dazu, wo uns niemand abnehmen würde, Briten zu sein.“

Johann wollte seine Idee nicht so schnell fallen lassen: „Es ist trotzdem sicher leichter von dort einen Pass zu bekommen als vom Sultan oder vom osmanischen Konsulat, oder? Und wenn ich euren gestrigen Besuch dort bedenke, dann gibt es ja vielleicht eine Methode, an Passformulare zu kommen, ohne sie direkt offiziell zu beantragen.“ Johann blickte Richtung Leonid.

Thomas wirkte entrüstet: „Du schlägst doch nicht etwa vor, dass Leonid mit der nächsten Konsulatsmitarbeiterin schläft, damit jemand von uns währenddessen Blankopässe stiehlt?“

Johann zuckte mit den Schultern: „Aus moralischer Sicht ist ein solches Vorgehen natürlich unangemessen; aber man könnte ja mildernd anführen, dass wir zum Beispiel die Passgebühren bezahlen, indem wir eine solche Summe Geldes entweder dem Konsulat anonym zukommen lassen oder dem Kloster spenden.“

„Oder der Partei!“, unterbrach Leonid bissig. „Ich finde es auch etwas seltsam, von einem Priester in ein fremdes Bett geschickt zu werden!“ 

Aleksandra unterbrach das Gespräch mit einer schneidenden Handbewegung: „Jetzt ist nicht die Zeit, moralische Spitzfindigkeiten auszudiskutieren, schon gar nicht von deiner Seite, Leonid! Wir müssen uns nur einigen: Ist es leichter über Johann und dich an britische Pässe zu kommen, oder über Genossen Lamprin an osmanische!“

Sie schloss kurz die Augen. Sie hatte es getan; sie hatte dem jungen Offizier getraut und sich damit in seine Hände begeben.

„So gut sind meine Kontakte zum Konsulat des Osmanischen Reiches auch nicht. Wir müssen die britische Variante wählen. Das wird auch für die Einreise nach Kolumbien einfacher werden. Aber jetzt müssen wir zum Treffen mit den Genossen gehen. Sie warten sicher schon auf uns!“

Thomas ruhiger Atem zeigte, dass er tief und fest schlief. Johann hingegen konnte und konnte nicht einschlafen. Das Gespräch mit den ‚Genossen‘, das Aleksandra in faszinierender Weise geführt und strukturiert hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf: Sie hatte Pläne zum indirekten Ankauf von Grundstücken vorgelegt, die dann gemeinsam bewirtschaftet werden könnten. Vorschläge zum Aufbau von verarbeitender Industrie und die geeigneten Unterstützungsleistungen, die offiziell und zusätzlich auch mit geheimen Transportflügen von der Sowjetunion auf die Insel gebracht werden konnten. Sie hatte von einem gewaltsamen Vorgehen abgeraten, solange nicht für den größeren Teil der Bevölkerung glaubhaft vermittelt werden könnte, dass eine neue, kommunistische Regierung sofort zur Verbesserung der Lage beitragen würde. Sie hatte aber auch nichts dagegen gesagt, dass alle Briten und anderen Europäer die Insel unmittelbar nach der Revolution verlassen müssten. Johann hatte schweigend daneben gesessen. Hätte er für die Nonnen sprechen müssen? Hätte er ihre soziale Tätigkeit oder auch ihr großes Verständnis für die Unzufriedenheit der Lage der einfachen Bevölkerung anführen müssen? Wie aber hätte er dieses Wissen erklärt, ohne zu sagen, dass er im Kloster war? Und wie hätte er einen solchen Besuch erklärt? Er hatte nicht direkt gelogen, die paar Vorschläge, die Aleksandra als Thüringischen Beitrag für ihn vorgesehen hatte, bezogen sich sämtlich auf Industrieanlagen und landwirtschaftliche Geräte, die realistischerweise aus diesem Land zur Verfügung gestellt werden könnten – nur dass Johann nicht für solche Lieferungen zuständig war.

Er überlegte, ob es immer so anfing: Zuerst gibt es gute Argumente für eine kleine Übertretung der Gebote. Wenn man sich daran gewöhnt hat, muss man die Schwere der Übertretung steigern, um die Früheren zu verbergen. Es war ihm immer noch peinlich, dass er selbst den Vorschlag gemacht hatte, den Thomas zu Recht gerügt hatte: Er hatte für den Diebstahl von Pässen und für außerehelichen Geschlechtsverkehr gesprochen, noch dazu nur, um Aleksandra zu helfen, ihren Bruder zu befreien. Es ging hier möglicherweise für sie um Leben und Tod, nicht aber für Johann und Thomas, die sich sicher im britischen Konsulat verbergen könnten. 

Aleksandra und ihr Schicksal waren Johann sehr wichtig geworden. Sie jetzt hier einfach allein zu lassen, schien ihm schändlich. Und Leonid hatte seine Einstellung zu seinem Körper und zu Sexualität selbst ausführlich erklärt, lange bevor Johann auch nur ahnen konnte, wie offen diese Einstellung wirklich war. Vielleicht konnte man mit einer kommunistisch-materialistischen Einstellung Sexualität wirklich als rein materiellen Akt verstehen, als die bewegte Nähe zweier Körper, die durch die dadurch ausgelösten elektrischen Impulse der Nervenbahnen eine als angenehm empfundene Ausschüttung von Hormonen bewirkte. ‚Wo das Gesetz unbekannt ist, gibt es auch keine Übertretung des Gesetzes‘ fiel ihm Paulus‘ Brief an die Römer ein. Möglicherweise hatte aber Leonids offene Art, diese Dinge anzusprechen, auch in Johann etwas geweckt, dass unter seiner Zielstrebigkeit und seinem kirchlichen Ehrgeiz lange verschüttet war. Die schwüle Hitze, die bunte und offenherzige Kleidung Alexandras taten ein Übriges. Johann stand vorsichtig auf, um Thomas nicht zu wecken, ging ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Er schaute in den Spiegel. Die Tropfen des Wassers liefen schnell seine Wangen hinab, manche sahen aus wie Tränen. Er hatte diese Reise im Gehorsam angetreten, ohne genau zu wissen, welchem Zweck sie diente. Er hatte mit großem Interesse die für ihn so fremde Welt der Sowjetunion in einem kleinen Ausschnitt kennengelernt. Und was auch immer alle anderen Menschen dort bewegte, in Aleksandra und Leonid hatte er zwei Kommunisten persönlich erlebt, die für ihre Weltanschauung bereit waren alles, auch ihr Leben, zu geben. Das Wasser begann schnell zu trocknen. Johann fuhr sich mit der rechten Hand über das Gesicht. Was für eine schäbige Argumentation, Aleksandra beeindruckt mich nicht nur aufgrund ihrer Überzeugung. Ich hätte nach unseren drei Monaten in Moskau nicht einmal sagen können, welche Haarfarbe sie hatte, jetzt scheint es mir, als könnte ich jede Wimper einzeln beschreiben. Es wird besser sein, mehr zu beten und so wenig Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen – wie auch immer das auf der Weiterreise gehen sollte.
‚Weiterreise‘ war das verrückteste Wort, das Johann eingefallen war. Oberleutnant Lamprin hatte zwei Vorschläge, doch keiner von beiden war zielführend gewesen: Mit dem regulären Luftschiff nach Istanbul und von dort mit dem nächsten verfügbaren Luftschiff über Madrid nach Bogota zu fliegen. Acht Tage hatte er dafür veranschlagt, und eine hohe Geldsumme, die er Aleksandra aber vorstrecken würde. Johann fand das Verhältnis zwischen den Beiden seltsam: Warum würde der junge Offizier solche Risiken für eine Person eingehen, die er kaum zei Tage lang kannte? Weil sie zur selben Fraktion innerhalb der kommunistischen Ketzer gehörten? Er verstand es nicht.

Der zweite Vorschlag war die Benutzung der sowjetischen Maschine gewesen mit dem Zusatz, dass man bei Auftanken in Addis Abeba flüchten müsste, sich so lange am Flughafen versteckte, bis die Sowjets weiterflogen und dann über Monrovia mit dem Luftschiff nach Bogota zu fliegen. Doch Aleksandra hatte auch das sofort verworfen: Die Gefahr, am Flughafen festgenommen zu werden und die Aufdeckung ihrer Identität zu riskieren, auch mit dem Risiko für Johanns Leben, war für sie ausgeschlossen. Auch mit der verzweifelten Suche nach einem Boot zum Übersetzen auf das Festland und dem Durchschlagen bis zum Luftschiffhafen von Dar es Salaam hätte nicht viel Zeit gewonnen, denn gemäß der internationalen Regeln, waren Auslandsflüge nur von Landeshauptstädten aus erlaubt, Transferflüge auch innerhalb der Länder. So hätte man von Dar es Salaam zuerst nach Amsterdam und von dort nach Paramaribo fliegen und den letzten Teil des Weges irgendwie durch Britisch-Guyana bis nach Bogota finden müssen.

Es war Thomas gewesen, der sich an das Gespräch mit James im britischen Konsulat erinnerte. James hatte erzählt, dass sein Onkel ihm eigens das konsularische Flugzeug, eine De Havilland DH 104 Dove, abgestellt hätte, um ihn von Addis Abeba abzuholen. Das diplomatische Flugzeug würde ihn auch dorthin zurückbringen, damit er mit dem nächsten Luftschiff nach Rom fliegen könnte. Es wäre immer noch riskant genug - und würde davon abhängen, ob James Johann genug vertraute, um auch noch die anderen drei an Bord zu bringen. Aber es war der schnellste und ungefährlichste Weg aus diesem Paradies in die Höhle des Löwen nach Kolumbien.

Johann verstand die Welt nicht mehr: Bisher waren Auto, Motorroller und Eisenbahn die einzigen Gefährte neben dem Fahrrad gewesen, die er jemals benutzt hatte. Und nun war er schon mit einer sowjetischen Militärmaschine geflogen, ein britisches Kleinflugzeug und die sagenumwobenen Luftschiffe, deren Benutzung nur den reichsten Zahlern vorbehalten waren, würden sich ihm öffnen. Und das, um einen Kommunisten zu retten. Die Verhältnismäßigkeit war längst kein Thema mehr.

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