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Kapitel 1 - Normalraum Kapitel 2 - Lethargie Kapitel 3 - Protokoll

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Kapitel 2 - Lethargie

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Betty weckte Petra und den Rest der ersten Besatzung planmäßig kurz vor dem Übergang in den Normalraum während die künstliche Schwerkraft noch aktiv war. Bis die ersten Antworten von den Pionieren eintrafen, würden ohnehin unter Umständen Stunden vergehen. Stunden, die ihnen die Zeit einräumte, ihren Kreislauf wieder ordentlich in Gang zu bringen und wieder ganz zu sich zu kommen.

Eine schier endlose Zeit war vergangen, in der sie einfach nur auf ihrem Bett lag. Ihr taten die Beine und die Arme etwas weh. Aber das war normal, hatte man ihr vorher zumindest gesagt. Die Nebenwirkungen von langem Kryoschlaf waren allerdings so gut wie gar nicht erforscht. Petra wusste nicht genau über die Hintergründe der Kryostase bescheid. Aber sie hatte gehört, dass die Technologie npch nicht so wahnsinnig alt war. Es konnte also gut möglich sein, dass sie länger geschlafen hatte, als die Kryostase erforscht war. Jedenfalls bemerkte sie abgesehen von den leichten Gliederschmerzen nichts. Nichteinmal ihre Harre waren gewachsen, sodass sie sogar noch die Frisur mit den langen Zöpfen an den Schläfen hatte, die sie sich vor der Reise hatte flechten lassen.

Sie streckte sich und entschloss sich dazu, sich doch noch etwas zu bewegen. Nun wollte sie mal sehen, was ihre Team-Mitglieder so trieben. Vielleicht hatte ja jemand Lust, in der Kantine herumzuhängen oder einfach ein wenig zu quatschen.

Sie schnappte sich frische Wäsche, ein weißes Top und ihren orangenen Technik-Overall aus ihrem Fach und schlüpfte hinein. Da sie aktuell keinen Einsatz hatte, rollte sie den Overall bis auf die Hüften herunter. Die Overalls für Null-G-Techniker waren wirklich praktisch. Sie besaßen natürlich jede Menge Taschen, in denen Werkzeug verstaut werden konnte. Aber was sie besonders machte, waren die elektromagnetische Kupplungen, Drähte und Haken, mit denen die Geräte direkt am Anzug befestigt werden konnten. Außerdem konnte sie sich selbst damit an der äußeren Hülle befestigen und sich so vor wegdriften zu schützen.

Mit einem feinen Klicken befestigte sie ihr Handterminal am Handgelenk. Es dauerte einen kleinen Moment, bis es ihre Vitalparameter erfasst hatte und den Beginn seiner Funktion mit einem grünen Leuchten kundtat. Gewohnheitsmäßig navigierte sie durch die Menüs und prüfte, ob in der Zwischenzeit neue Nachrichten eingegangen waren. Da dem nicht so war, machte sie sich auf den Weg zur Kantine.

Die große Halle der Kantine war gedacht für bis zu 200 Personen, die hier theoretisch gleichzeitig eine Mahlzeit zu sich nehmen konnten. Das war zwar mehr, als das Personal der ersten Besatzung hergab, aber wenn der Platz später gebraucht würde, stünde er bereit. Es gab fest verschraubte Tische und darum am Boden in Schienen befestigte Stühle. Das Licht stammte von länglichen Lampen, die über den Tischen angebracht waren. Es hatte eine angenehm warme gelbliche Tönung wie die der Sonne in der Heimat. Eine echte Küche gab es zwar nicht, aber immerhin baten die Automaten eine ganze Menge unterschiedliche Gerichte an, die in kleinen Paketen und unter der Zugabe von mehr oder weniger Wasser zu Speisen gekocht werden konnten. Von außen sah man nur das Display, das in einen weißen Rahmen in die Wand eingelassen war. Wenn man die Abdeckung abnahm und dahinter schaute, was Petra schon öfters zu Wartungszwecken getan hatte, dann offenbarte sich ein komplexes System, dass die Auswahl des Benutzers verarbeitete, verschiedene Pulver und Substanzen zusammengeführte und zu einer Speise verrührte.

An einem der Tische saß eine Gruppe junger Piloten, wahrscheinlich die erste Bereitschaft, die sich übermütig Synthfleisch hineinschaufelte. Noch waren sie fröhlich. Aber Petra war selbst einmal in dem Alter und entsprechend leichtsinnig gewesen. Sie kannte die Reaktion des Verdauungstrakts auf das Ausspülen des Kryogels. Wenn die Piloten zu diesem Zeitpunkt in einem Cockpit saßen, würden sie später sehr viel Spaß mit ihrem Katheter haben.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ihr Kollege Bernie endlich in die Messe schwebte. Er sah noch etwas mitgenommen und träge aus. Sein sonst so drahtiger Körper glitt kraftlos durch den Gang. Hatten Komplikationen seinen Weckprozess verzögert. Er winkte Petra kurz zu, schwang sich aber zunächst über einen an der Wand befestigten Griff zu einem der Shake-Automaten hin. Petra folgte ihm mit den Augen und suchte seinen schmalen Körper erfolglos nach etwaigen sichtbaren Veränderungen ab, welche der Schlaf mit sich gebracht haben könnte.

"Hey, Petty. Wie gehts?" Frage er, als er sich zu ihr gesellte.

Petra war noch etwas in Gedanken versunken, realisierte dann aber doch noch die Frage. "Äh, ja. Gut, glaube ich. Es ist schon eigenartig. Da liegen wir für keine Ahnung wie lange in einem Einmachglas und wachen auf, als wäre nichts gewesen."

"Hm, naja, nichts gewesen ist gut. Ich bin total fertig. Und mir tut alles weh. Aber hey, das war ja von vornherein klar." Bernie schnallte seine Füße in die dafür vorgesehene Vorrichtung am Boden unter dem Tisch direkt gegenüber von Petra. "Bin gespannt, was die Pioniere berichten. Kann es kaum erwarten!" Er rieb sich die Hände, als wäre ihm kalt, grinste aber bis über beide Ohren.

Noch eine ganze Weile saßen sie beisammen und malten sich aus, wie die neuen Welten wohl sein werden. Bisher hatten sie nur die technischen Daten gesehen, atmosphärische Zusammensetzung, Temperaturgradient, Gewichtskraft, etc. Nichts worunter sie sich so richtig etwas vorstellen konnten. Viel interessanter war: wie sah es dort aus, wie roch es? Welche Farbe hat der Himmel? Welche Berge können erklommen werden? In welchen Meeren kann man schwimmen? Welche Tiere leben dort? Das waren alles Dinge, die sie bald erforschen würden. So langsam müssten auch die ersten befehle eingehen. Kapitänin Koch würde sicher bald etwas für sie zu tun haben.

 

***

Mittlerweile war bereits ein ganzer Tag vergangen. Oder zumindest ein Zyklus von 24 Stunden, der in der alten Heimat biologisch bedingt als Standard- und Referenz-Zeiteinheit galt. 24 Stunden und noch immer hatte Petra von den Kapitänen keine Anweisungen erhalten. Bernie und sie und auch andere Mitglieder der Ersten Besatzung wurden langsam unruhig. Irgendetwas stimmte nicht. Was, wenn es Probleme in diesem System gab? War es vielleicht besiedelt? Gar von einer intelligenten Spezies? Man hatte doch über so lange Zeit vorher nach Radiosignalen gehorcht, die aus dieser Richtung hätten kommen können und nichts gefunden.

Bernie und sie hatten schon spekuliert, ob die Kapitäne etwas wussten und es nur nicht mitteilten oder ob sie ebenso ratlos waren. Aber dafür hatte das schlaue Protokoll bestimmt auch eine Lösung parat, da war sich Petra sicher. So oder so, sie würden sich bald entscheiden müssen. Die Mannschaft konnte nicht ewig tatenlos herumsitzen. Sicher, Nahrung und Energie waren hinreichend vorhanden. Aber der Mensch lebt nicht von Brot allein, er braucht eine Perspektive.

Immer wieder schwebte Petra den Gang auf und ab oder hin und her. In der Schwerelosigkeit war die Ausrichtung bedeutungslos. Und solange das Schiff nur reglos im Raum trieb, würde sich daran nichts ändern. Immer wieder kam sie an denselben Türen vorbei. Immer wieder stieß sie sich an einer Wand ab und schwebte wie ein Pendel zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Ab und an kam eine Kollegin oder ein Kollege vorbei. Sie unterhielten sich kurz, aber Neuigkeiten hatte niemand gehabt. Sie hatte gerade den Entschluss gefasst, sich in der Kantine die nächste Mahlzeit zu genehmigen, da zirpte das Terminal, an ihrem Handgelenk. Der Bildschirm zeigte ihr den Befehl der Kapitäne, dass sie sich in einem der Besprechungsräume einzufinden hatte. Bis zum angegeben Zeitpunkt verblieb ihr noch eine Stunde. Doch noch Zeit genug, einen kleinen Halt in der Kantine zu machen. Bernie war sicher auch schon unterwegs.

Der Besprechungsraum war für 50 Personen ausgelegt. In der Mitte stand etwas abgesenkt ein kleines Holopult, das dreidimensionale Bilder in den Raum projizieren konnte. Das war eigentlich nur dann nützlich, wenn es darum ginng, dreidimensionale Diagramme oder Lageverhältnisse im Raum darzustellen. Petra hatte soetwas in modernen Schiffen gesehen, wenn sie Außeneinsätze an der Hülle vorbesprachen. Ansonsten kannte sie den Einsatz von solchen Hologrammen nur zum Veranschaulichen von Manövern im Weltraum, da diese tatsächlich auch nur vernünftig in drei Dimensionen darstellbar waren.

Die Plätze für die Zuhörer waren halbkreisförmig und in Stufen darum angeordnet. Von jedem Platz aus hatte man eine gute Sicht auf die Projektion. Die Schwerelosigkeit verführte die anwesenden Leute aber dazu, wild im Saal herumzuschweben. Manche schwebten in kleinen Gruppen an der Decke oder in einer beliebigen anderen Orientierung beisammen. Andere trugen ihre langen Haare offen und bildeten so ein sehr effektives optisches Hindernis. Petra fand offene lange Haare in Schwerelosigkeit sehr nervig. Die Gefahr, damit irgendwo hängen zu bleiben, war viel zu groß. Oder sie waren einem ständig im Weg, wenn man arbeiten wollte. Allerdings, das musste sie zugeben, eigneten sie sich auch astrein, um ein Luftleck irgendwo zu entdecken, wenn man gerade keinen Luftflussdetektor zur Hand hatte.

Petra und Bernie waren früh genug gekommen, um sich einen guten Platz zu suchen, bevor die Kapitäne eintrafen. Zuerst erschien die wissenschaftliche Kapitänin, Kali Siddharta. Sie galt unter den Team-Mitgliedern als präzise und vorausschauend. Sie trug ihre schwarzen Haare zwar lang, aber stets streng nach hinten gebunden. Sie hatte ein schmales Gesicht und eine sehr gerade Nase, die ihr etwas Elegantes, aber auch irgendwie etwas Fischiges verlieh. Sie nickte den Anwesenden kurz zu. Aber ohne auch nur ein Wort zu sagen, befestigte sie sich vorne neben das Pult an einem Sitz und begann damit, die gleich beginnende Präsentation vorzubereiten.

Die technische Kapitänin Merthe Koch und der soziologische Kapitän Trent Buttlington schwebten gemeinsam in den Raum. Den Kapitän hörte Petra lange, bevor er zur Tür hinein kam. Er lachte gern und laut, was Petra gefiel. Buttlington hatte dieses gewisse Etwas. Nicht, dass er besonders attraktiv war, aber Petra schaute ihn gerne an, hörte ihm gerne zu. Irgendetwas an ihm faszinierte sie. Vielleicht waren es seine Bewegungen. Vielleicht war es seine Mimik. Obwohl er nie militärisch gedient hatte, strahlte er eine gewisse Würde aus. Seine grüne Uniform wirkte aus irgend einem Grund beruhigend.

Kapitänin Koch war für Petra und viele andere Techniker an Board ein Vorbild. Dieses ganze Unternehmen, unabhängig von der Heimat eine Kolonie zu gründen, erforderte viel Know-how und eine gewisse Übersicht über viele verschiedene technische Gebiete. Kapitänin Koch war beherrschte fast jedes technische Gebiet, und dabei war sie nicht einmal 40 Jahre alt. Lächelnd und ganz in die Unterhaltung mit Kapitän Buttlington vertieft nahm sie ebenfalls Platz. Kapitän Buttlington blieb jedoch stehen und sich dem Publikum zuwandte. Es schien, als zählte er, ob alle da waren.

"Sehr geehrte Besatzung", Buttlington hob die Hände und deutete allen, sich an den Sitzen zu befestigen. Für einen kurzen Moment war nur das leise Surren der Lüfter und das allgegenwärtige Hintergrundbrummen der Maschinen zu hören. "Wie Sie sicherlich bemerkt haben, ist unsere Ankunft nicht ganz nach Plan verlaufen."

Ein Raunen ging durch den Raum. "Nicht alle Komponenten des Schiffs funktionieren wie geplant, aber das ist kein Grund zur Sorge. Wir hatten mit einigen Ausfällen aufgrund der langen Zeit im Hyperraum gerechnet und unsere redundanten Systeme können alle Funktionen gewährleisten. Ungünstiger ist dagegen die Tatsache, dass wir bisher keine Antwort von den Pionieren erhalten haben. Unsere Sensoren konnten bisher auch keine Zeichen von aktiven Signalen auf den inneren Planeten finden."

Es keimte Unruhe auf, die der Kapitän jedoch gleich durch eine Handbewegung zu ersticken wusste. "Für diesen unwahrscheinlichen Fall sieht unser Missionsprotokoll vor, dass wir versuchen, den Grund für die ausbleibende Kommunikation zu erforschen und dann entsprechend dem Ergebnis dieser Untersuchung vorgehen."

Der Plan, den die Kapitäne für diese Situation gefasst hatten, beinhaltete, dass sich ein Forschungsschiff den inneren Planeten des Systems näherte, sich vor Ort ein besseres Bild von der Lage machte und nach Spuren suchte, die den Verbleib der Pioniere erklären konnte. Die Frakobritannica würde sich ebenfalls den inneren Planeten nähern, was jedoch aufgrund ihrer Masse deutlich länger dauern würde. Dadurch könnte aber zumindest die Kommunikationsverzögerung nach und nach verringert werden. Die übrigen Kolonisten an Bord, die noch immer in ihren Kryostasetanks schliefen, sollten erst dann geweckt werden, wenn der Verbleib der Pioniere geklärt oder eine Gefahr innerhalb des Systems ausgeschlossen werden konnte.

Die Kapitäne mussten nach dieser Ankündigung eine knapp zweistündige Fragerunde über sich ergehen lassen. Das war vermutlich dfer Grund für die Lange Ungewissheit gewesen. In ihrem stillen Kämmerlein hatten sie sich auf alle erdenklichen Fragen vorbereitet, denn sie schienen tatsächlich auf alles eine Antwort zu haben. Viele der Fragen verstand Petra nicht. Sie war zwar eine ausgebildete Null-G-Technikerin, aber vieles von dem ganzen wissenschaftlichen Zeug überstieg ihren Horizont. Außerdem hatte sie dafür ja ihre Gruppenleiter. Es reichte, wenn die das verstanden und es dann in klare Arbeitsanweisungen für sie übersetzten.

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Jun 24, 2021 16:02

Es macht immer wieder Lust auf mehr. :)